Lied der hundertfachen Duldsamkeit (Auszug)
Zhang Gongyi (578-676, Tang-Dynastie)
Duldsamkeit ist der Ausdruck eines großartigen Menschen.
Duldsamkeit ist das Fundament für den Edlen.
Eine Kleinigkeit, die nicht mit Duldsamkeit ertragen wird,
verwandelt sich in Gewaltiges.
Eine gute Tat, die nicht mit Duldsamkeit begangen wird,
mündet in Bedauern.
Eltern und Kinder, die keine Duldsamkeit haben,
verlieren die Tugenden elterlicher Liebe und kindlicher Ehrfurcht.
Geschwister, die keine Duldsamkeit haben,
verlieren Respekt und gegenseitige Zuneigung.
Freunde, die keine Duldsamkeit haben,
verlieren den Geist der Rechtschaffenheit.
Paare, die keine Duldsamkeit haben,
geraten in Streitereien.
Liu Ling verlor seinen guten Ruf, weil er wegen des Weins ungeduldig war.
Chen Ling vernichtete sein Land,
weil er wegen der Begierden ungeduldig war.
Shi Chong zerrüttete seine Familie,
weil er wegen des Geldes ungeduldig war.
Xiang Yu opferte sein Leben,
weil er wegen seines Temperaments ungeduldig war.
Alle, die heute Verbrechen begehen,
verstehen nichts von Duldsamkeit.
Alle, die es einst zu etwas gebracht haben,
waren nie ohne Duldsamkeit.
Mit Duldsamkeit vermag man die Welt zu erschließen.
Mit Duldsamkeit vermag man seinen Mitmenschen näher zu kommen.
Sind wir duldsam,
ist unsere Rede frei von Richtig und Falsch.
Sind wir duldsam,
überwinden wir Hass und Ressentiments.
Sind wir duldsam,
vergelten wir Kritik nicht mit Gegenkritik, sondern stellen uns über die Beleidigungen.
Sind wir duldsam,
schlagen wir unsere Angreifer nicht zurück, sondern nehmen ihnen den Wind aus den Segeln.
Erkennen wir doch,
wie uns Duldsamkeit zu wahren Edlen werden lässt.
Behaupten wir nicht,
dass Duldsamkeit töricht sei!
Die Unwissenden verunglimpfen Duldsamkeit,
während die himmlischen Götter sie wertschätzen.
Sind wir selbst nicht auf Duldsamkeit bedacht,
werden es andere noch weniger sein.
Wenn immer ein Problem auftritt,
ist Duldsamkeit am meisten gefragt.
Zieht das Problem vorüber,
sollten wir weiterhin duldsam sein.
Wir brauchen uns im Leben nicht davor zu fürchten,
hundert Mal duldsam zu sein.
Vielmehr sollten wir uns davor fürchten,
auch nur ein einziges Mal nicht duldsam zu sein.
Nehmen wir nicht Hunderte von Glücksfällen mit Duldsamkeit entgegen,
werden sie allesamt wie Schnee dahinschmelzen.
Nehmen wir Tausende von Unglücksfällen mit Duldsamkeit entgegen,
werden sie allesamt zu Asche verbrennen.
── aus Jiu Tang Shu
Unter demselben Dach für neun Generationen
Zhang Gongyi (578-676, Tang-Dynastie)
Fehlender Fleiß in der Jugend
wird im Alter Bedauern hervorrufen;
fehlende Sorgfalt beim Anbau im Frühjahr
wird eine schlechte Ernte im Herbst herbeiführen.
Mit Fleiß beim Studium und Sorgfalt beim Anbau vermag man ganz wie von selbst Ruhm und Wohlstand zu erlangen;
Handel und Geschäfte rund ums Geld sind hingegen vergänglich wie die Blumen vor unseren Augen.
Schon in der Jugend sollte man
heldenhaft sein;
bereits als Knabe sollte man das Ziel verfolgen, Außergewöhnliches für die Welt zu leisten.
Handlungen ohne reifliche Überlegungen führen letzten Endes zu Bedauern;
überwindet man aber einen Augenblick des Zorns, ist man lebenslang frei von Sorgen.
In dringenden Angelegenheiten erbitte keine Hilfe bei Menschen ohne Herz;
kommt die Zeit, führt ein kundiger Mensch dich weiter.
Das Glück einer Familie liegt in den Händen eines tugendhaften Ehemannes;
der Frieden im Haus liegt in den Händen einer klugen Frau.
In Gegenwart einer tugendhaften Frau ist der Erfolg einer Familie vorbestimmt;
sind Söhne voller Respekt für die Eltern, ist ein strenger Vater die Quelle.
Sind Väter und Söhne einer Meinung, wird die Familie niemals Rückschritte erleiden;
bleiben Geschwister einander treu, wird die Familie nicht auseinander gehen.
Mögen die Menschen diese Geheimnisse erkennen und sich in Menschlichkeit und Rechtschaffenheit üben;
für neun Generationen werden sie unter demselben Dach Glück und Wohlstand genießen.
— aus Jiu Tang Shu