柏林佛光山

01.04.2024

Ein Stückchen Sonnenschein (Auszug)
Phyllis Lin (1904–1955)

Gen Mittag kriecht das goldene Sonnenlicht durch das Fenstergitter in den Raum und erfüllt mit seinen Strahlen alle vier Ecken. Ich betrachte das helle und klare Wesen der Sonne, als würde ich die schillernden Farben erkennen, die sich miteinander verflechten und ihre unaufspürbaren Bewegungen verfolgen. Als ich bemerke, wie mein Schreibtisch kristallklar aufleuchtet, ereilt mich das Gefühl, auf dem Tisch liege etwas Geruhsames, eine Art geistige Lebendigkeit und entspannte Freude. Dies könnte es sein, wenn es heißt: „Scheint es hell durchs Fenster, ist alles rein“ bezeichnet wird. Still beobachtend in geheimnisvoller Vorfreude, überkommt mich eine poetische Stimmung.

Zweifellos schätzen wir Kultur, indem wir seit jeher jede Art von Kunst achten – seien es die abstrakten künstlerischen Schöpfungen oder der Impressionist, der die Verwendung natürlicher Werkstoffe so klug beherrscht, obwohl er nicht naturalistisch malt. Wie drücken wir jedoch angemessene Wertschätzung aus, wenn es um die Quelle der Kunst geht, dies bisschen menschliche Emotion und emotionale Intelligenz (die sogenannte Gefühlslage)?

Es gibt zwei Arten von extravagantem Licht im Raum, die mich genauso in eine gespannte Stimmung versetzen, wie eine erblühende Blume, die sich inmitten der kühlen, weisen Zweige und Blätter mit einem Hauch von Sinneseindrücken bemerkbar macht. Der erste Typ sind Kerzenlichter, die hoch oben auf einem Ständer thronen mit lang herunterhängenden Tränen aus Wachs; Licht und Schatten der roten lodernden Flamme flackern hier und da wie hinter gefallenen Vorhängen. Das Licht ist hell und doch elegant mit einem Hauch von Nostalgie. Obwohl offensichtlich Teil einer malerischen Szenerie, enthält es noch viel mehr poetische Elemente.

Der zweite Typ ist der Nachmittagssonnenschein am Frühlingsbeginn, der sich fast unmerklich über den gesamten Raum ausbreitet. Fenstergitter, Tischplatte, Pinsel und Tuschestein baden im trüben Licht und formieren ein Bild der Stille. Mit ein paar Tupfern roter Blütenknospen an dünnen Stielen wirkt der Raum noch reizvoller und duftender, so dass Spiritualität bereits bei kleinsten Bewegungen
wahrgenommen wird.

 ── aus Lin Huiyin Wen Ji

01.04.2024