Die Kultivierung der Toleranz
Chi Pang-Yuan (1924-)
I
Die reizvollsten Dinge sind für mich Zeit und Sprache. Zeit ist tiefgründig und schwer zu ergründen. Will man mit den begrenzten Mitteln der Sprache die wahre Erscheinung von Zeit beschreiben, ist das schlichtweg eine tragische Handlung.
Warum sagt man dem Leben nach, es sei so bitter und kurz? Das ist so, weil wir es nicht ausreichend in seiner Wandelbarkeit betrachten.
Die Erfahrung des Abwartens kann wahrlich tiefgreifend sein, besonders, wenn man, im Flughafen sitzend, vorbeihastenden Menschen zusieht, als ob die gesamte Welt an einem vorbeizieht.
── aus Yisheng Zhong De Yitian
II
Ich hoffe, dass alle chinesischen Leser, egal was sie nun lesen, es rasch zu einer Leidenschaft werden lassen, es lebenslang als Anker ihres Herzens schätzen, und dass sie ein solides Urteilsvermögen entwickeln. In so einem großen Land, bei so vielen Menschen, wo alles so kompliziert ist, wo die Geschichte so verwoben ist, mögen nie wieder stürmische Emotionen über das Schicksal des Landes und seiner Individuen entscheiden. Ich hoffe vielmehr, die jungen Leute schaffen es, einen toleranten und mitfühlenden Geist zu kultivieren. Und sie erlauben ihren Kindern von klein auf, mit dem Lesen zu beginnen und Freude daran zu haben.
── aus San Lian Shenghuo Zhoukan
III
Nur kurz nach dem Ertönen der Notfall-Sirene, einmal lang, zweimal kurz, hörte ich das Dröhnen der sich nähernden Flugzeuge, gefolgt von den Bombenschlägen und den Flammen, die am Horizont aufschienen.
Ich lag allein im Bett, hörte das Fenster im Wind klappern und sah, wie der Himmel von Asche und Staub bedeckt war und sich über die ganze Erde verbreitete, über die endlosen Steintreppen des Sun-Yat-sen-Mausoleums, über die Wogen des Xuanwu-Teichs, über den Park bei der Dongchang-Straße, über die Reihen der Desmodium-Blumen, die die Hausfronten in der Fuhougang-Straße schmückten, über die Wippe der Gulou-Grundschule.
Der Tod war bis an mein Fenster gelangt, machte sich auf dem gerade erst errichteten Bambus-Baugerüst breit und bedeckte in aller Gänze das Sternenmeer von Blumen.
── aus Ju Liu He