Von der Lebenskunst (Auszug)
Xia Gaizun (1886-1946)
Für ihn gibt es nichts Schlechtes in dieser Welt, alles ist gut. Ein kleines Hotel ist gut, die zweite Klasse ist gut, die schlichte Kammer ist gut, die alte Matratze ist gut, das schäbige Handtuch ist gut, die einfache Mahlzeit ist gut, zu Fuß unterwegs sein ist gut. Alles hat seine Würze, alles ist wunderbar.
Welch ein Ausblick! Wenn man ohne religiöses Gerede diesen mühseligen Alltag zu so einer Erkenntnisstufe gebracht hat, ist das nicht Lebenskunst? Die Leute sagen, er leide, ich hingegen möchte sagen, er genießt die Freude am Leben. Wenn ich sehe, mit welcher Ruhe und Zufriedenheit er auf dem Rettich und dem Kohl kaut, dann denke ich: Nur jemand wie er kann wirklich die volle und wahre Würze vom Rettich und vom Kohl herausschmecken. Indem er gegenüber allen Dingen unvoreingenommen ist, führt es ihn zum ureigenen Antlitz, zur wahrheitsgemäßen Betrachtung. Das ist wahre Befreiung, das ist wahre Freude.
Kunst und Religion haben im Grunde das gleiche Ziel. Wer von Profitgier oder von Vorurteilen gefesselt ist, versteht nicht die Würze des Alltags und hat keinerlei Bezug zur Kunst. Wahre Kunst steckt nicht nur in Gedichten und Gemälden, sie ist überall, und lässt sich jederzeit entdecken.
── aus Pingwu Zawen