Gedicht zum Siebzigsten
Tang Yin (1470-1524, Ming-Dynastie)
Seit jeher lebt ein Mann selten bis siebzig.
Zieht man die Jahre der Kindheit und des Alters ab,
bleibt dazwischen nicht viel Zeit übrig,
dazu kommen Hitze, Frost und Sorgen.
Nach dem Mittherbst vergeht beim Mond die Helligkeit.
Nach Qingming, Anfang April, verlieren die Blumen die Schönheit.
So singet ein Lied, im Glanze des Mondes und der blütenden Blumen,
beeilt Euch, den leeren Weinkelch zu füllen.
Es gibt so viel Geld auf der Welt.
Unmöglich ist es, das alles zu verdienen.
Es gibt so viele Ämter am Kaiserhof.
Unmöglich ist es, sie alle einzunehmen.
Hohe Ämter und viel Geld schaffen Kummer und Sorgen und bewirken das vorzeitige Ergrauen der Haare.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter vergehen wie ein Fingerschnipsen,
so wie die Glocke die Abenddämmerung einläutet, auf dass der Hahn bereits den Tagesanbruch ankündigt.
Schaut genau auf die Menschen vor Euren Augen:
Einmal im Jahr werden sie besucht, die Gräber von Unkraut überwuchert.
Wie viele befinden sich unter dem Gras, hohe und niedere?
Einmal im Jahr werden sie gepflegt, von gerade mal der Hälfte der Hinterbliebenen.
— aus Liuru Jushi Quanji