Das Große Lernen (Auszug)
Verfasser unbekannt, kompiliert von Cheng Hao, Cheng Yi, Zhu Xi et al.
Cheng Hao (1032-1085), Cheng Yi (1033-1107), Zhu Xi (1130-1200) (Song-Dynastie)
Der Weg des Großen Lernens besteht darin, sich der klaren Tugenden klar zu werden, den Menschen nahe zu kommen, und dem Besten hinzugeben.
Versteht man sich in der Hingabe, so ist man standfest. Ist man standfest, so kann man still werden. Ist man still, so kann man Frieden finden. Hat man Frieden gefunden, so kann man Überlegungen anstellen. Stellt man Überlegungen an, so kann man alles hinbekommen.
Dinge haben ihre Wurzeln und ihre Äste. Handlungen haben ihren Beginn und ihr Ende. Wer das Früher und Später begreift, kommt dem Weg nahe.
Da die Menschen des Altertums wünschten, dass man sich universal der klaren Tugenden klar werde, regulierten sie zuerst ihren Staat.
Und da sie wünschten, dass der Staat reguliert werde, ordneten sie zuerst ihre Familie.
Und da sie wünschten, dass ihre Familie geordnet werde, kultivierten sie zunächst ihre Persönlichkeit.
Und da sie wünschten, dass ihre Persönlichkeit kultiviert werde, rückten sie zuerst ihre Herzen zurecht.
Und da sie wünschten, dass ihre Herzen zurecht gerückt werden, richteten sie zunächst ihre Gedanken auf.
Und da sie wünschten, ihre Gedanken aufzurichten, erweiterten sie zunächst ihr Wissen bis zum Äußersten.
Die Erweiterung des Wissens bis zum Äußersten bestand in der Erkundung der Dinge.
Hatten sie zuerst die Dinge erkundet, dann war das Wissen erweitert bis zum Äußersten.
War ihr Wissen bis zum Äußersten erweitert, dann wurden ihre Gedanken aufrichtig.
Waren ihre Gedanken aufrichtig, dann wurden ihre Herzen zurecht gerückt.
Waren ihre Herzen zurecht gerückt, dann wurde ihre Persönlichkeit kultiviert.
War ihre Persönlichkeit kultiviert, dann wurde ihre Familie geordnet.
War ihre Familien geordnet, dann wurde ihr Staat reguliert.
War ihr Staat reguliert, dann wurde das Universum befriedet.
Vom Sohn des Himmels* bis hin zu den Menschen müssen alle die Kultivierung der Persönlichkeit als Wurzel von allem betrachten. Es kann nicht sein, dass die Äste reguliert sind, wenn die Wurzel im Chaos liegt. Es ist noch nie vorgekommen, dass etwas Wertzuschätzendes geringgeschätzt wird, oder dass etwas Geringzuschätzendes wertgeschätzt wird.
Wenn sie “die Gedanken aufrichteten”, so heißt das, dass sie sich nicht selber täuschten. So, wie man verabscheuenswerten Gestank verabscheut und liebenswerte Objekte liebhat, spricht man von der Selbstbeschränkung. Daher muss der Edle wachsam sein, wenn er allein ist.
── aus Da Xue
Das Leben ist wie eine Partie Schach
Wang Bangxiong (1941-)
Laozi sagte: “Handle durch Nicht-Handeln, so gibt es nichts, was du nicht beherrschst.”
Das Leben ist wie eine Partie Schach, es kann nie sein, dass wir ohne Gegenspieler sind. Die Frage ist, ob wir unser Handeln im Nicht Handeln auf Schritt und Tritt verwirklichen, ob wir die Aufmerksamkeit auf den Nicht-Geist richten, ob wir im Herzen natürlich bleiben, um diese Partie Schach gut zu spielen.
Zhuangzi zufolge gleicht die Kultivierung des menschlichen Geistes einem klaren Spiegel: Weder widersteht er irgendetwas, noch erwartet er irgendetwas – er reagiert nur und hat nichts zu verbergen. Jene, die ihren Geist wie einen reinen Spiegel pflegen, kommen gut mit anderen zurecht ziehen kein Leid auf sich.
Löst euch von den Ketten der Anhaftung an Sieg und Niederlage, von dem Zwang nach Konfrontation. Wir brauchen andere nicht absichtlich bedrängen und unterdrücken. Ebensowenig besteht die Notwendigkeit, eine Befestigung aufzubauen, um uns zu verteidigen.
Vielmehr sollten wir unsere Zeit und Energie dazu nutzen, uns gegenseitig zu verstehen und zu verstärken.
Ein Leben in gegenseitiger Kenntnis und Harmonie ist eine wahrlich schöne, geheimnisvolle Partie Schach. Ganz gleich, wer am Spielende gewinnt, beide Seiten stehen als Gewinner dar. Aber wie sehr auch das Schachspiel Totschlag und Zerstörung mit sich bringt, so werden, ganz gleich wer am Ende krepiert, beide Seiten verloren haben.
Das Leben ist wie eine Partie Schach, nicht wegen des Gegeneinanders, sondern wegen des Miteinanders. Schachfiguren zu bewegen ist nicht schwer. Schwer aber ist es, einen Schachzug im Nicht-Geist zu setzen. Lebst du in Einfachheit, wird alles stets leicht sein. Lebst du kompliziert, wird alles kompliziert sein. Ist das dir einmal klar, wird alles weitere sich ergeben.
── aus Yuan Yu Ming: Dan Pan Rensheng Yipan Hao Qi